„Update verfügbar – ein Podcast des BSI“
Transkription für Folge 55, 28.05.2025
Tatort digitaler Raum: Hilfe bei Gewalt im Netz
Moderation: Schlien Gollmitzer und Hardy Röde
Gast: Michaela Burkard, Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe in Deutschland (bbf)
Herausgeber: Bundesamt für Sicherheit in der
Informationstechnik (BSI)
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Hardy Röde: Schlien?
Schlien Gollmitzer: Hardy?
Hardy Röde: Auf was bist du denn heute schon im Netz reingefallen?
Schlien Gollmitzer: Hm, da muss ich tatsächlich drüber nachdenken. Ich falle klassischerweise ganz gerne bei Instagram auf irgendwelche Werbeanzeigen rein. Ich sehe dann irgendwas und denke mir so oh, das ist aber ein tolles Gerät, das brauche ich in meinem Leben, definitiv. Und dann stelle ich fest, so erst im zweiten Gedanken kommt mir dann, nee, das ist eigentlich Quatsch, und es wird auch nicht so funktionieren, wie es in der Werbung gezeigt wird wahrscheinlich.
Hardy Röde: Aber so eine Nummer krasser, wo es einem so im Scroll-Daumen juckt, ich geb dir mal so ein paar Hits. Bild, Meldung, Ausschnitt, Screenshot: Marietta Slomka, sie hätte es nicht sagen sollen, on air, jetzt ist ihre Karriere vorbei. Oder anderes Highlight: Durch die Auswirkungen der US-Zölle wird diese Aktie bald steigen. Sie kaufen 1350 Aktien zum Preis von 0,28 Euro und nach drei Monaten werden sie 320.000 Euro erhalten.
Schlien Gollmitzer: Jetzt muss ich mal ganz kurz reingrätschen, Hardy: Was hast du denn bitte für einen Feed, das ist ja unglaublich!
Hardy Röde: Ja, das ist mein digitaler Alltag.
Schlien Gollmitzer: Nee, ich muss zugeben, es gibt ein Video, das zurzeit in Social Media umgeht, und zwar von Donald Trump, der in einem Interview sagt, er würde ganz gerne die Schweiz vereinnahmen und habe aber bei seiner Recherche herausgefunden, dass die Schweiz gar kein richtiges Land sei. Das ist allerdings, das habe ich wiederum bei meiner Recherche herausgefunden, gar kein richtiges Video von Donald Trump, sondern es ist ein Deepfake.
Hardy Röde: Dann sind wir eigentlich schon beim richtigen Thema, Schlien. Ich frage dich jetzt mal als Journalistin: Mal angenommen, du siehst in deinem Feed ein Video von Emmanuel Macron und Friedrich Merz. Die sitzen am Tisch und Emmanuel Macron räumt ganz, ganz, ganz, ganz schnell ein kleines, weißes, zerknülltes Taschentuch weg und steckt es sich in die Hosentasche, räumt es vom Tisch. Meinst du, die machen einfach nur die Bude schön, weil gleich der Fotograf kommt oder steckt da vielleicht noch mehr dahinter?
Schlien Gollmitzer: Ich würde sagen, da steckt Heuschnupfen dahinter, oder? Es ist doch Heuschnupfen-Zeit.
Hardy Röde: Also diese Szene jedenfalls, knüll, knüll, weißes Ding, schnell weg vom Tisch und dann in die Kamera lächeln, die gab es tatsächlich Mitte Mai und wundersamerweise sind sehr viele Menschen auf die Story eingestiegen, dass angeblich der neue deutsche Bundeskanzler und der französische Staatspräsident da ein weißes Drogenpäckchen vom Tisch geräumt haben sollen. Warum das auf einmal so viele Leute behauptet haben, darüber reden wir heute hier in Update verfügbar.
Schlien Gollmitzer: Aber Hardy, vielleicht waren da ja auch meine 320.000 Euro drin aus dieser Anzeige vorhin, von der du erzählt hast.
Schlien Gollmitzer und Hardy Röde: Das ist Update verfügbar, ein Podcast des BSI für Sicherheit im digitalen Alltag mit Schlien Gollmitzer und Hardy Röde.
Hardy Röde: Keine Anlagenempfehlungen hier in Update verfügbar. Lasst euch nicht irre machen von uns und für 320.000 Euro müssen wir beide hier leider noch ganz schön lang stricken, Schlien und ich. Und auch in Sachen: Haben da drei europäische Staatschefs ernsthaft Drogen konsumiert auf dem Weg nach Kiew? Wir müssen euch enttäuschen, keine neuen Enthüllungen hier. Es wurde nur ein benutztes Taschentuch vom Tisch geräumt vor einem Fototermin.
Schlien Gollmitzer: Ich sag's ja, Heuschnupfenzeit. Aber Hardy, noch mal kurz zum Mitschreiben. Was ist genau passiert auf diesem Weg nach Kiew?
Hardy Röde: Also, Emmanuel Macron, Friedrich Merz und auch noch der britische Premierminister Kirst Dahmer sind im Zug in die Ukraine gefahren, um dort den Präsidenten Selensky zu treffen. Ein Fernsehteam war dabei, hat Bilder gefilmt, die dann danach von der Agentur Associated Press veröffentlicht wurden. Kurzer Videoclip, auf dem sieht man, wie die drei sich für das Foto eben bereit machen, das gleich von ihnen, von dem Fotografen geschossen wird.
Und Emmanuel Macron nimmt tatsächlich einen kleinen weißen zerknüllten Gegenstand vom Tisch, der vor ihm liegt und steckt ihn schnell in die Tasche. Und dann sitzen alle kurz so rum wie auf der Familienfeier, bevor der Fotograf endlich Cheese sagt.
Schlien Gollmitzer: Und dann? Dann kommt das Internet, oder?
Hardy Röde: Dann kommt das Internet. Nach ein paar Stunden, YouTube-Videos, TikToks, Reels fliegen durch die Gegend, in denen die Leute eben raunen: War das vielleicht Kokain da auf dem Tisch, was der so schnell versteckt hat? Also, ich sehe es ganz deutlich. Kommentarspalten, eindeutig Kokain, dann auch so vor Friedrich Merz liegt übrigens so ein längliches Ding, das sieht aus wie ein Nasenlöffel, den man zum Koksen benutzt. Andere Leute so, ja, jetzt ist es aber klar. Und dann nimmt die Sache tatsächlich Fahrt auf, als ein Telegram-Post von Maria Zakharova erscheint, Sprecherin des russischen Außenministeriums. Und die schreibt, ein Franzose, ein Engländer und ein Deutscher steigen in einen Zug und ziehen eine Line. Offenbar sind sie so drüber, dass sie vergessen haben, ihr Zubehör wegzuräumen, bevor die Journalisten kommen.
Schlien Gollmitzer: Ein kleines Päckchen und einen Löffel. Ernsthaft?
Hardy Röde: Ja, du weißt, ernsthaft ist ein sehr dehnbarer Begriff. Aber diese These, dass das ein Drogenpäckchen sein könnte, auf diesem tatsächlich auch relativ unscharfen Video, die ist jetzt dann eben in der Welt und die ist auf einmal das ganze Thema. Obwohl es doch eigentlich bei der Reise von den Dreien um eine europäische Friedensinitiative für die Ukraine geht.
Schlien Gollmitzer: Ja gut, ich kann es mir vorstellen. Und diese angebliche Koksgeschichte greifen dann wieder noch mehr Welterklärer auf und sagen dann, ja, man wird ja wohl doch mal fragen dürfen, wie es so ist.
Hardy Röde: Ja genau, das ist ein Reflex, auf den man sich mittlerweile verlassen kann, wenn man solche Theorien in die Welt setzt. Und natürlich, um das zu unterstreichen, hier in Update verfügbar darf man alles fragen – draußen in der Welt, in allen Medien natürlich auch – wir sind ein freies Land, aber diese Sorten Fragen und diese Sorte Aufregung, die dienen uns als Nutzerinnen und Nutzern halt manchmal eben gerade nicht dabei, wenn wir wissen wollen, was wirklich in der Welt los ist.
Schlien Gollmitzer: Dann sollten wir wahrscheinlich die ganze Welle um dieses Video einfach mal ernsthaft hinterfragen.
Hardy Röde: Genau, weil es vielleicht, wie so oft im Leben, noch ein paar andere Erklärungen geben könnte für diesen Moment, der zufällig von einem Kamerateam gefilmt worden ist und der tatsächlich vielleicht im ersten Moment ein bisschen schräg aussieht.
Schlien Gollmitzer: Heuschnupfen, ich sag's ja.
Hardy Röde: Die Regierungen von Frankreich und Deutschland haben tatsächlich auf die Gerüchte reagiert, aber zu Heuschnupfen haben sie nichts veröffentlicht, leider. Da sind wir jetzt also auch auf Spekulationen angewiesen.
Schlien Gollmitzer: Okay, Hardy, aber ganz im Ernst, wie kommen wir denn dahin, dass wir eben nicht in diesen einen Tunnel laufen, zu dieser einen Version der Story, die dann doch irgendwie so logisch klingt und gerade so steil geht im Netz, dass ich als Nutzerin oder Nutzer vergesse nachzudenken, ob es denn vielleicht auch ein bisschen anders gewesen sein könnte?
Hardy Röde: Also, was ich einen guten Faktencheck finde für so eine Story, das ist der mit den drei Zutaten, die drinstecken, die wir uns stellen können, wenn wir so einer krass klingenden Meldung oder so einer Geschichte begegnen.
Schlien Gollmitzer: Listen wir es doch mal auf. Erstens.
Hardy Röde: Klingt das zu absurd oder zu perfekt, um wahr zu sein? Was sagst du?
Schlien Gollmitzer: Drei Staatschefs im Zug. Sie schauen vor dem Foto etwas irritiert, packen dann schnell was weg und dann grinsen sie ganz unschuldig, als hätten sie was angestellt. Absurd auf jeden Fall.
Hardy Röde: Check, genau. Zweite Frage, wird eine starke Emotion ausgelöst? Also bist du wütend, wenn du das liest oder hörst? Hast du Angst? Bist du empört? Wie fühlst du dich?
Schlien Gollmitzer: Ja, doch, kann man schon sagen eigentlich. Empört sind schon manche BürgerInnen, garantiert, wenn drei Regierungschefs da angeblich Drogen auf dem Tisch haben, auf dem Weg zu einem eigentlich sehr wichtigen Gipfelgespräch. Ich meine, vielleicht ist es ja auch was ganz anderes, aber man wird ja wohl noch mal fragen dürfen.
Hardy Röde: Empört sind wir da aber an dem Punkt schon. Dritte Frage: Sind irgendwelche Beweise oder Quellen angegeben bei dieser Nachricht?
Schlien Gollmitzer: Also wir gehen jetzt mal nicht auf diese Theorie mit den Drogen ein, die das russische Außenministerium veröffentlicht hat. Gab es denn irgendwelche anderen Quellenangaben in dem Video?
Hardy Röde: Tatsächlich war auf einigen dieser Video-Ausschnitte, die man gesehen hat, das Logo von der Nachrichtenagentur drauf von AP, Associated Press, die das tatsächlich gefilmt hat. Und das, muss man sagen, ist immer eine gefährliche Zutat bei Verschwörungstheorien aller Art, wenn ein Teil der Story stimmt und tatsächlich nachprüfbar ist.
Schlien Gollmitzer: Das Video ist also schon grundsätzlich authentisch. Die waren tatsächlich im Zug und das wurde auch gefilmt.
Hardy Röde: Genau. Und das gibt dem Ganzen dann plötzlich so einen offiziellen Charakter. Und jetzt haben wir drei dicke Haken gemacht bei diesem Check. Ist es krass? Absurd? Zu perfekt, um wahr zu sein? Da haben wir auf alle Fälle gesagt, ja, so ist die Geschichte. Dann sind wir emotional geworden, wahrscheinlich empört, wenn hier möglicherweise drei Staatschefs mit Drogen am Tisch sitzen. Und dann, oh Wunder, ist dieses Video ja auch noch authentisch. Das Logo ist drauf von dieser Nachrichtenagentur.
Schlien Gollmitzer: Und ich rate jetzt mal, wenn wir diese drei Häkchen sehen an der Story, dann sollten wir am besten noch mal woanders nachschauen, was da dran ist, oder?
Hardy Röde: Explosion vermeiden, nicht sofort weiterschicken oder weitererzählen, sondern erst mal schauen, auf welchen anderen Kanälen drüber geredet und geschrieben wird – aber eben geredet und geschrieben ohne Emotionalisierung und mit einem Blick auf die möglichen anderen Varianten der Geschichte. Zum Beispiel gab es von diesem Moment nicht nur dieses leicht unscharfe Video, sondern auch hochauflösende Fotos, bei denen man das Taschentuch noch auf dem Tisch liegen sieht. Der Fotograf war nämlich schon da. Und spätestens da muss eigentlich jedem klar sein, das ist ein Taschentuch.
Schlien Gollmitzer: Gesundheit.
Hardy Röde: Danke. Es schauen sich sowas nicht nur die klassischen großen Medien an, die ihr kennt, sondern auch Faktenchecker-Spezialisierte. Die schauen sich alle öffentlich verfügbaren Informationen ganz genau an und auch in diesem Fall haben sie ihren Job gemacht. Das Ergebnis ist viel langweiliger als die Aufregergeschichte: Nichts, aber auch gar nichts an der Szene deutet darauf hin, dass da Drogen im Spiel waren.
Schlien Gollmitzer: Das Update für heute ist also eins, was wir uns nicht downloaden können, sondern was wir uns, wie würdest du sagen, Hardy, antrainieren müssen?
Hardy Röde: Na ja, die gute Nachricht: Das Update haben wir eigentlich schon im Kopf, nämlich unseren Verstand. Wenn wir den benutzen, sind wir schon auf der richtigen Strecke. Vielleicht können wir uns so einen Reflex antrainieren, dass wir solche schrägen Geschichten erkennen und zum Beispiel mit der Suchmaschine nachschauen: Macron und Merz plus den Zusatz Faktencheck, da landet man tatsächlich bei solchen Seiten, die nochmal viel, viel, viel genauer nachschauen. Oder wenn es schon zu gut klingt und eine emotionale Aufregergeschichte ist mit einer angeblich todsicheren Quelle, dann können wir auch direkt zu solchen Seiten gehen.
Schlien Gollmitzer: Ja, was uns auch klar sein muss, solche Storys, die entstehen ja fast nie aus dem Nichts, sondern sie entstehen aus falschen Informationen, die auch ganz gezielt verbreitet werden, um eben uns Menschen zu täuschen und zu manipulieren. Also wenn ich durch den Tunnel der Koks-Story einfach mit durchgehe, dann denke ich, schon wieder ein Beweis, dass ich dem Staat und der Politik nicht vertrauen kann.
Hardy Röde: Das Gegenteil ist hier der Fall. Sehr nüchterne Politiker waren am nächsten Tag zu Gast bei einem sehr nüchternen ukrainischen Präsidenten Selenskyj in Kiew und haben einfach nur ihren Job gemacht.
Schlien Gollmitzer: Dann lassen wir euch die Informationen und Tipps zu euren privaten Faktenchecks direkt in den Infos zur Sendung, da findet ihr sie dann.
Hardy Röde: Genau.Und auch auf der BSI-Website gibt es übrigens viele Infos zum Thema Desinformation. Den Link packen wir euch auch in die Sendungsinfos.
Schlien Gollmitzer: Eine Frage noch, Hardy.
Hardy Röde: Ja.
Schlien Gollmitzer: Meine 320.000 Euro?
Hardy Röde: Kleiner Teaser, um die geht es in der nächsten Folge. Festversprochen.
Schlien Gollmitzer: Wir reden heute in Update verfügbar auch noch über ein zweites, sehr wichtiges Thema: digitale Gewalt – ein Thema, so vielfältig wie das Internet selbst, kann man sagen.
Hardy Röde: Ja, vom Internet wissen wir, dass es leider nicht nur das Gute im Menschen weckt.
Schlien Gollmitzer: Man kann sagen, jede neue technologische Möglichkeit bringt auch immer gleich Personen mit sich, die sie ausnutzen, um nichts Gutes damit anzustellen. Die Gewalt, die im analogen Raum schon immer da war, setzt sich natürlich auch digital fort und nimmt da schon auch erschreckende Formen an. Darüber habe ich mit Michaela Burkhardt gesprochen. Sie arbeitet beim Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) und ist dort Referentin für das Projekt “Aktiv gegen digitale Gewalt“..
Hardy Röde: Jetzt musst du mir ganz kurz helfen. Digitale Gewalt, nehme ich an, ist so ein bisschen ein Sammelbegriff für alles das, was mit digitalen Mitteln oder im digitalen Raum ausgeübt wird an Gewalt oder negativen Handlungen. Also ich denke zum Beispiel auch an so was wie Hate Speech in sozialen Medien. Liege ich da richtig?
Schlien Gollmitzer: Ja, richtig. Das ist halt so der Klassiker. Aber da geht es ja ganz oft um dir eigentlich fremde Personen im Netz, die dich dann beschimpfen oder dir sogar nachstellen. Und wir schauen uns heute vor allem die digitale Gewalt im sozialen Nahraum an. Das ist ein weites Feld, hat Michaela Burkhardt mir erklärt. Und ihr werdet staunen, was man so alles nicht auf dem Schirm hat, was einem gefährlich werden kann.
Hardy Röde: Sozialer Nahraum, das klingt entweder nach einem sehr überfüllten Bahnabteil Schlien, oder nach Beamten und Beamtinnen Deutsch. Jetzt bin ich aber wirklich gespannt, was genau das ist.
Schlien Gollmitzer: Erkläre ich dir gerne, Hardy: Der Begriff sozialer Nahraum bezieht sich auf das unmittelbare soziale Umfeld eines Menschen. Also Personen, mit denen er oder sie private oder familiäre Beziehungen pflegt. Das können Freunde, PartnerInnen, Familienmitglieder oder KlassenkameradInnen sein. Digitale Gewalt im sozialen Nahraum bedeutet also, dass Menschen innerhalb ihres engen sozialen Umfelds durch digitale Mittel verletzt, belästigt oder bedroht werden. Die Möglichkeiten sind vielfältig. Durch diese Form der Gewalt entsteht außerdem eine doppelte Belastung. Zum einen durch die digitale Schädigung selbst, zum anderen durch den Verlust des Vertrauens und der Sicherheit im persönlichen Umfeld. Viele Menschen fühlen sich dadurch isoliert oder schämen sich, was es noch schwieriger macht, Hilfe zu suchen.
Und wie diese Hilfe aussehen kann und welche vielfältigen Formen digitaler Gewalt es gibt, das erzählt uns jetzt Michaela Burkhardt vom bff im Interview. Das ist der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe. Michaela, ich grüße dich. Vielen Dank, dass du dir die Zeit nimmst für uns.
Ihr habt bei euch im Frauennotruf ein Projekt, das nennt sich “Aktiv gegen digitale Gewalt“. Kannst du uns ein bisschen was darüber erzählen? Worum geht es denn da?
Michaela Burkhardt: Ja, erst mal auch von mir vielen Dank für die Einladung. Genau, also der BFF, der Bundesverband der Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen, beschäftigt sich schon ganz lange mit digitaler Gewalt. Und da gibt es seit 2017 das Projekt “Aktiv gegen digitale Gewalt“. Und wir richten uns vor allen Dingen an die Mitarbeiterinnen in Beratungsstellen und Frauennotrufen und machen Schulungen für die Informationsmaterialien. Wir informieren, wenn es neue Formen von digitaler Gewalt gibt. Wir machen ganz viel Öffentlichkeitsarbeit, um dafür zu sensibilisieren. Und wir bringen auch selbst Infobroschüren und Sachen raus, wo man mal was nachschlagen kann. Und wir sind auch politisch aktiv. Also wir betreiben politisches Lobbying, zum Beispiel für ein Gesetz gegen digitale Gewalt. Oder wir nehmen Stellung zu politischen Entwicklungen und gesetzlichen Entwicklungen. Genau, das ist so die grobe Zusammenfassung.
Schlien Gollmitzer: Kannst du so ein bisschen erklären, woran es da genau mangelt? Also woran liegt es, dass digitale Gewalt vielleicht oft nicht ernst genommen wird? Oder was ist nicht bekannt?
Michaela Burkhardt: Also ich glaube, es gibt insgesamt in der Gesellschaft immer noch so eine Vorstellung, dass digitale Gewalt oder der digitale Raum irgendwie so ein rechtsfreier Raum ist, in dem irgendwie keine richtigen Regeln gelten. Oder in dem auch Verletzungen nicht real sind oder Gewalt nicht real ist. Und das stimmt natürlich nicht. Gewalt im digitalen Raum oder Gewalt mit digitalen Mitteln hat die gleichen Auswirkungen wie Gewalt im analogen Raum auch. Da gelten auch Gesetze. Und da fehlt es manchmal an Bewusstsein. Und auch an Bewusstsein dafür, dass überhaupt gerade Gewalt passiert. Also ich glaube, wir haben uns viel an Dinge schon gewöhnt, an Umgangsformen im digitalen Raum oder an Alltagskommunikationen über digitale Geräte, dass wir das oft gar nicht mehr hinterfragen, ob das eigentlich gerade unsere Grenzen überschreitet.
Schlien Gollmitzer: Digitale Grenzen setzen ist daher auch so ein bisschen das Stichwort. Wo liegen denn die digitalen Grenzen? Gibt es da so einen großen umgrenzten Raum, auf den man sich allgemein vielleicht einigen kann? Und innerhalb dieses Raums setzt jede Person selbst seine persönlichen Grenzen?
Michaela Burkhardt: Problematisch wird es halt immer dann, wenn man sich selbst nicht mehr zurückziehen kann. Also wenn Kommunikation rund um die Uhr immer in mein privatestes Umfeld kommt. Wenn ich permanent Dinge zugesendet kriege, die ich gar nicht haben will. Wenn auf Leute Druck ausgeübt wird, immer verfügbar zu sein, immer antworten zu müssen. Wenn es keine Privatsphäre mehr gibt, also alle Handlungen, die jemand tut, jeder Ort, an dem sich jemand aufhält, mitgesendet und mitgelesen wird und wenn es so wenig Möglichkeiten gibt, sich dagegen zu wehren. Also die digitale Welt hat super viele Kontaktwege und wenn man einen blockiert, dann gibt es noch zehn andere Messenger, über die eine Person Kontakt aufnehmen kann. Und da ist leider oft die Vorstellung, dass Leute, wenn man ihnen digital schreibt, bitte immer verfügbar sein müssen.
Schlien Gollmitzer: Das fängt oft im Kindesalter sogar schon an, über Tracking, über Überwachung beispielsweise. Hast du da so ein paar Beispiele, was du aus deiner Arbeit kennst, womit Menschen auf dich zukommen?
Michaela Burkhardt: Es gibt tatsächlich Apps, um Kinder zu tracken. Also deren Standort, was sie über Messenger schreiben, welche Webseiten sie aufrufen. Und die sind tatsächlich legal. Die gibt es auch im App Store, kann man hier runterladen. Und das ist tatsächlich schon eine Frage, über die man mal diskutieren könnte: Was macht es eigentlich mit Kindern, wenn man sie immer kontrolliert, wenn sie wissen, dass sie rund um die Uhr unter einer Art von Überwachung stehen. Und solche Apps werden aber auch eingesetzt, um digitale Gewalt auszuüben. Also zum Beispiel in Partnerschaftsgewalt zu überwachen. Wo hält sich die Partnerin auf? Mit wem schreibt sie? Welche Websiten besucht sie? Und dann gibt es natürlich noch andere Apps, die sind nicht legal, das ist dann Spyware. Und die trackt sozusagen eine Person, ohne dass sie irgendwas davon mitbekommt. Und das ist natürlich super grenzwertig.
Schlien Gollmitzer: Sollte man vielleicht auch noch mal mit dazu erwähnen, es gibt ja ein Recht auf Privatsphäre. Also Tracking, das heimlich passiert, ist eigentlich Stalking.
Michaela Burkhardt: Genau, das ist eine Form von Stalking. Tatsächlich ist es ein Unterschied, ob das Kind minderjährig ist und nicht der Elternteil wäre. Dann ist das tatsächlich erlaubt, aber bei erwachsenen Personen geht es nicht. Ist nicht erlaubt, fällt unter Stalking.
Schlien Gollmitzer: Jetzt haben wir einen Haufen Schlagworte schon verwendet: Wir sprechen von digitaler Gewalt im Allgemeinen. Vielleicht sollte man da mal ein bisschen näher drauf eingehen. Was ist denn eigentlich alles digitale Gewalt? Ganz oft geht es um dieses klassische Hatespeech in sozialen Medien. Aber digitale Gewalt findet ja eben auch im privaten Umfeld statt, wie du ja schon gesagt hast. Zum Beispiel auch nach einer Trennung. Wie kann ich mich denn davor schützen?
Michaela Burkhardt: Also digitale Gewalt in dem sozialen Nahraum, nennen wir das, also in Partnerschaften zum Beispiel oder Ex-Partnerschaften, hat ganz viele verschiedene Formen. Da geht es viel um Überwachung, um Kontrolle, um permanenten Kontakt. Und ich glaube, es ist ein guter Ansatz bei einer Trennung, vor allen Dingen, wenn es eine gewaltvolle Beziehung ist, sich auch digital zu trennen. Und je nachdem, wie die Gewaltsituation ist, das auch nicht allein zu tun, sondern in Zusammenarbeit mit einer Beratungsstelle. Und dann einmal systematisch alle Kontaktwege kappen, über die andere Person Informationen über mich bekommen kann oder über die Klientin bekommen kann. Das kann zum Beispiel der Zugang zum E-Mail-Postfach sein, zum WLAN-Router, zum Smartphone insgesamt, also das Passwort für das Smartphone, Passwort für Clouds. Oder generell die Frage, was synchronisiert man über sein Smartphone alles mit einer Cloud und da sozusagen einmal systematisch so einen Rundum-schlag machen und alles, alle Passwörter ändern, alle Zugänge ändern und je nach Situation sich eventuell auch eine Parallelstruktur aufbauen, also neues Handy, neue SIM, neue Mailadresse.
Schlien Gollmitzer: Es ist tatsächlich, wenn du das so aufzählst, da gibt es ja sehr viele Dinge, die man in einer Partnerschaft einfach gemeinsam teilt, verschiedene Zugänge. Ich denke jetzt gerade an gemeinsame Accounts beispielsweise, die man nutzt. Ich weiß nicht, von Amazon über Netflix über Lieferando oder was auch immer. Ich muss einfach einmal alles komplett durchgehen, oder?
Michaela Burkhardt: Genau, es macht Sinn, sich einmal eine Übersicht zu machen, wo ist man überall angemeldet, bei welchen Diensten. Also alles, was mit Shopping zu tun hat, alles, was auch mit Kindern zu tun hat: Schul-Cloud, irgendeine Kita-Plattform, keine Ahnung, was es da noch alles gibt. Social Media. Alles, wo man sich mal irgendwann mit der Mailadresse angemeldet hat, sind solche Dienste und Konten. Und die sollten einmal aufgeschrieben werden und einmal überprüft werden. Und auch Geräte, also zum Beispiel so etwas wie eine Fitnessuhr oder auch Smarthome-Geräte, die man benutzt. Auch die haben meistens Passwörter oder Zugänge.
Und sich einmal eine große Übersicht machen, wo man eigentlich überall angemeldet ist.
Schlien Gollmitzer: Smarthome ist tatsächlich ein interessantes Stichwort. Wenn wir jetzt an so einen Smarthome-Speaker, so etwas wie eine Alexa beispielsweise denken, was kann denn da alles passieren, was man gar nicht so auf dem Schirm hat?
Michaela Burkhardt: Bei einer Alexa ist es so, dass wenn man den Zugang dazu hat, kann man auch die aufgenommenen Audio-Tracks wieder mit anhören. Also im Idealfall sind es Personen, die in einem Haushalt leben und die interessiert es jetzt nicht sonderlich, was da jemand gesagt hat. Aber wenn es eine Trennung gab, kann zum Beispiel der Ex-Partner, wenn er das Passwort noch hat und es nicht geändert wurde, auch von außerhalb auf die Daten der Alexa zugreifen.
Schlien Gollmitzer: Das heißt, ich werde abgehört?
Michaela Burkhardt: Genau, und dann weiß man eben auch, dass sie sich manchmal auch einschaltet, wenn man das nicht möchte. Also gerade wenn das Signalwörter sind, die häufig vorkommen, dann passiert es manchmal auch einfach aus Versehen, dass das Ding angeht. Da lässt sich eben schon auch viel in Erfahrung bringen. Und umgekehrt aber auch Gewalt ausüben. Also alle Smarthome-Geräte lassen sich, wenn sie nicht so eingestellt sind, dass man außerhalb der Wohnung nicht rankommt, dann lassen sie sich halt auch von weiter weg bedienen. Das heißt, der Ex-Partner würde zum Beispiel in der Nacht die Musik anmachen oder das Licht oder die Rollläden hoch oder die Heizung an oder aus. Das ist auch eine Form von Gewalt, die über digitale Geräte stattfindet.
Schlien Gollmitzer: Also würdest du sagen, es ist definitiv sinnvoll, nach einer Trennung nicht nur die Trennung von Tisch und Bett sozusagen zu vollziehen, sondern auch digital einfach mitzudenken? Mir ist jetzt gerade ein Beispiel eingefallen aus dem privaten Umfeld, schon ein bisschen länger her, lange vor Lieferando, wo der Ex-Partner bei einer Pizzeria 20 Pizzen zur Ex-Freundin nach Hause hat liefern lassen, einfach aus Rache. Wenn man jetzt drüber nachdenkt, lass sowas mit den heutigen Möglichkeiten öfter passieren, da wird man ja irre.
Michaela Burkhardt: Ja, das passiert auch tatsächlich öfter im Rahmen von Partnerschaftsgewalt, dass da ganz viele Sachen bestellt werden. Das hat auch finanzielle Folgen für die Person. Also je nachdem, wo das hin geliefert wird, gibt es entweder einen Zahlungsverzug oder es gibt Mahnungen oder irgendwas – abgesehen davon, dass man die ganze Zeit damit beschäftigt ist, Sachen wieder zurückzuschicken und den Anbietern mitzuteilen, dass man was nicht bestellt hat. Also das ist schon sehr belastend für Leute, wenn es in so einem großen Rahmen permanent stattfindet.
Schlien Gollmitzer: Wenn du jetzt auch davon sprichst, nachts beispielsweise wird plötzlich das Radio angeschaltet. Über Smarthome-Geräte lässt sich ja auch die Heizung regulieren beispielsweise. Das ist fast eine Form von Gaslighting oder Stasimethoden, kann man sagen.
Michaela Burkhardt: Ja, das ist auf jeden Fall eine Form von psychischer Gewalt. Und die führt manchmal auch dazu, dass die Betroffenen selbst gar nicht mehr so richtig wissen, was jetzt alles passiert ist oder nicht. Ob sie was eingestellt haben oder ob das die andere Seite war. Das ist eine große psychische Belastung.
Schlien Gollmitzer: Was ist denn da der erste Schritt für mich, wenn ich mich unsicher fühle, wenn ich das Gefühl habe, vielleicht stimmt da irgendwas nicht, irgendwas ist sehr merkwürdig, was mache ich?
Michaela Burkhardt: Wenn es um eine Beziehung geht und die war schon vorher gewaltvoll, dann sollte man, glaube ich, immer die digitale Komponente mit einbeziehen. Und da macht es Sinn, in einer Beratungsstelle gemeinsam zu gucken: Was liegt vor? Wie ist meine Situation, wie ist die Gefahrenlage? Über welche digitalen Kanäle haben wir Kontakt? Und das sozusagen einmal systematisch durchgehen. Und wenn eine Klientin tatsächlich das Gefühl hat, sie wird auch abgehört oder sie hat eine Spy-App auf dem Handy, die alles mithört, dann macht es Sinn, sich vielleicht nicht direkt in einer Beratungsstelle zu treffen oder in einem Schutzhaus, sondern an einem neutralen Ort, der erstmal unbedarft ist, wo das Gegenüber sozusagen erstmal keinen Verdacht schöpft. Und dann gibt es so signalblockierende Hüllen, da kann man das Handy zwischenzeitlich reinlegen, um dann in Ruhe zu besprechen mit einer Beraterin, was könnten jetzt die nächsten Schritte sein. Also es ist, glaube ich, immer sinnvoll, nicht allein zu bleiben mit der Situation und sich Unterstützung zu suchen. Und wenn es keine Beratungsstelle ist, dann vielleicht eine Freundin oder eine Kollegin oder die Schwester oder eine andere Person, der man vertraut.
Schlien Gollmitzer: Wer sind denn die Personen, die sich an Beratungsstellen wenden? Wir sprechen jetzt hauptsächlich von Frauen. Mit welchen Bedürfnissen kommen denn Menschen zu euch?
Michaela Burkhardt: Die Beratungsstellen sind in der Regel für Mädchen, für Frauen und für alle FLINTA-Personen, also auch nicht-binäre und Trans-Personen zum Beispiel, die sich da hinwenden können. Und tatsächlich ist es bei digitaler Gewalt fast immer so, dass es schon Partnerschaftsgewalt gibt oder Gewalt im sozialen Nahraum, die sich dann einfach über digitale Wege fortsetzt. Das heißt, die Lebenssituation ist von vornherein schon gewaltvoll und angespannt. Ansonsten zieht sich das tatsächlich durch fast alle Altersgruppen. Also bei digitaler Gewalt scheint es ein bisschen mehr jüngere Personen zu betreffen. Es gibt aber noch nicht so viele Zahlen dazu. Und Partnerschaftsgewalt betrifft tatsächlich alle Frauen in allen Altersgruppen und allen sozialen Schichten, die man sich vorstellen kann. Und alle diese Menschen kommen in Beratungsstellen und suchen da Unterstützung.
Schlien Gollmitzer: Welche konkreten Maßnahmen oder Tipps geben denn dann die Beratungsstellen den Betroffenen? Ich denke jetzt gerade eben, weil wir auch über diese psychische Gewalt gesprochen haben, gibt es da auch eine psychosoziale Beratung beziehungsweise auch rechtliche Einschätzung?
Michaela Burkhardt: Genau, es gibt eine psychosoziale Beratung. Das heißt, man wird darin unterstützt, das Erlebte zu verarbeiten und einen Weg heraus aus der Gewaltbeziehung zu finden. Es gibt unterschiedliche Situationen in den Beratungsstellen. Ich kenne zum Beispiel eine Beratungsstelle, da gibt es einmal die Woche eine kostenfreie Rechtsberatung, da kann man sich hinwenden. Und ansonsten ist es so, dass der bff zum Beispiel auch so eine Broschüre rausgebracht hat zu digitaler Gewalt. Da steht dann immer das Phänomen. Also jemand droht zum Beispiel damit, intimes Bildmaterial zu veröffentlichen und dann steht da drunter, welche Rechtsgebiete das betrifft und ob das strafbar ist oder nicht. Das ist zum Beispiel eine gute Hilfe, wo man mal in der Beratungsstelle reingucken kann, ob das, was man erlebt hat, vielleicht strafbar ist. Ansonsten unterstützen die Beratungsstellen auf jeden Fall immer dabei, irgendwie nochmal eine rechtliche Ansprechperson zu finden oder Rechtshilfe zu beantragen, wenn man nicht genug finanzielle Mittel hat, um das zu leisten.
Schlien Gollmitzer: Würdest du sagen, ist dann dieses Phänomen der digitalen Gewalt neu? Ich glaube, es ist nicht ganz neu.
Michaela Burkhardt: Also unser Projekt gibt es ja auch schon ein paar Jahre. Es hat sich auf jeden Fall sehr stark weiterentwickelt, vor allen Dingen mit dem Aufkommen von Social Media. Es sind ganz viele Kontaktwege aufgetaucht, in denen Menschen sehr niedrigschwellig und fast kostenfrei permanent senden können, ohne dass da irgendeine Hürde überwunden werden muss. Und ich glaube, mit jeder Plattform, mit jedem Tool, das sich entwickelt, gibt es leider auch immer wieder Menschen, die das für Gewalt ausnutzen. Es gibt zum Beispiel Bluetooth-Checker. Die wurden den Fall erfunden, dass man die eigene Tasche oder das eigene Portemonnaie verliert. Und die werden eben auch dazu benutzt, um Menschen zu tracken und nachzuverfolgen, wo die sich aufhalten – ohne ihr Wissen. Das gibt es schon lange und ich glaube, der Grundmechanismus dahinter ist immer der gleiche: dass es eine patriarchale Gesellschaft gibt. Und dass viele Männer so leben und so denken, dass sie einen Anspruch auf Frauen haben und auch im Fall einer Trennung diesen Anspruch nicht aufgeben können oder wollen.
Schlien Gollmitzer: Wenn du jetzt sagst patriarchale Gewalt. Wir haben vorhin schon mal überlegt: Es sind häufiger Frauen betroffen von digitaler Gewalt als Männer. Gibt`s da Nachweise?
Michaela Burkhardt: Es gibt für Deutschland tatsächlich nicht so viele Zahlen. Aber letztes Jahr hat das Innenministerium ein Lagebild herausgebracht. Da geht es nur um geschlechtsspezifische Gewalt. Und das gibt es auch einen Absatz zu digitaler Gewalt. Das wurde jetzt in dieser Statistik zum ersten Mal in einem gesammelten Kapitel zusammengefasst für das Jah 2023. Und da sieht man, dass ungefähr 90 Prozent von Gewalt der Betroffenen von dieser Gewalt über die Veröffentlichung privater Bilddaten sind zum Beispiel Frauen.
Schlien Gollmitzer: Michaela, nach dem, was du jetzt alles erzählt hast, haben wir einen Haufen Räume aufgemacht, in denen klar wird. Da ist viel Unsicherheit, das hatte ich vorher nicht auf dem Schirm. Kann ich mich denn komplett absichern, selbst wenn ich diese Punkte bezüglich digitaler Trennung einhalte, alles abhake – gibt es eine hundertprozentige Sicherheit?
Michaela Burkhardt: Das gibt es nicht. Man kann sehr viel tun, um sich und seine Daten zu schützen und sich auch Hilfe zu suchen, wenn man Gewalt erfährt. Aber es gibt hundertprozentige Sicherheit, so wie es auch im analogen Raum keinen hundertprozentigen Schutz vor Gewalt leider gibt.
Schlien Gollmitzer: Da sagen dann vielleicht ältere Generationen, dann sei halt nicht auf Instagram, mach doch WhatsApp zu oder ähnliches. Aber das kann auch nicht die Lösung sein.
Michaela Burkhardt: Ne, das ist auch keine Lösung. Da ist ein Verzicht auf soziale Teilhabe, der dann wieder zu Lasten der Betroffenen geht. Das entspricht ungefähr diesem Ratschlag: Wenn du nicht willst, dass dir jemand auf dem Heimweg Gewalt zufügt, dann geh abends nicht mehr raus. Das kann nicht die Lösung sein, dass ungefähr 50 Prozent der Bevölkerung aus digitalen Geräten und Plattformen und Konten zurückziehen, damit sie keine digitale Gewalt erleben. Das funktioniert nicht und kann so nicht sein. Die digitale Welt gehört allen – so wie die analoge auch. Und da müssen sich alle sicher bewegen können.
Schlien Gollmitzer: Dein Projekt “Aktiv gegen digitale Gewalt“ berät Beratungsstellen und bildet weiter und bietet Schulungen an. Wie nimmst du denn den Bildungsstand bei Beratungsstellen wahr?
Michaela Burkhardt: Das ist sehr unterschiedlich. Es hängt sehr davon ab, wie einzelne Mitarbeiterinnen aufgestellt sind. Es gibt sehr engagierte Beraterinnen, die auch ein Interesse an der digitalen Welt haben und die damit aufgewachsen sind – je nach Generation. Und es gibt aber auch Beratungsstellen, da ist im Team noch keine Person, die sich sicher darin fühlt. Es gibt also schon auch eine große Unsicherheit, was das Thema angeht. Und was auch so ein bisschen fehlt, ist ein systematischer Ansatz würde ich sagen. Es gibt ja in der Ausbildung zur Sozialen Arbeit auch einen systematischen Zugang zum Sozialrecht oder zu anderen Themen, die wichtig sind für diese Arbeit. Und ich finde im Umgang mit Gewalt fehlt das einfach, dass systematisch schon bei der Ausbildung und bei der Einarbeitung beachtet wird und vorkommt.
Schlien Gollmitzer: Wie ist das bei der Polizei oder auch bei Gericht?
Michaela Burkhardt: Auch das ist es sehr unterschiedlich. Auch da hängt es sehr von einzelnen Personen ab und deren Interessen- und Bildungsstand zu dem Thema. Und auch da fehlt ein systematischer Zugang. Ich war auch schon an der Polizeihochschule und habe da einen Vortrag gemacht. Und da waren viele engagierte Personen, die auch im Feld der Prävention das auf dem Schirm hatten. Das fand ich super. Ich glaube aber auch, dass es für Personen, die schon lange im Berufsleben sind, kann man sich halt aussuchen, welche Fortbildungen man macht. Und vielleicht braucht es da mehr Anreize, digitale Gewalt mehr auf dem Schirm zu haben. Und das gilt auch für Amtsgerichte, für Justiz und Verwaltung insgesamt, dass das einmal flächendeckend geschult wird.
Schlien Gollmitzer: Dass das nicht auf freiwilliger Basis beruht.
Michaela Burkhardt: Genau.
Schlien Gollmitzer: Wenn du dir ausmalen dürftest, wie es weitergehen soll: Was hast du für konkrete Wünsche?
Michaela Burkhardt: Für die Betroffenen wäre es sinnvoll, wenn es ein Gesetz gegen digitale Gewalt gibt und das nicht nur Hate Speech betrifft, sondern auch diese Form von Veröffentlichung von Bildmaterial. Da ist es im Moment so, dass man auf das Kunsturheberrecht zurückgreifen muss, und das wird dieser Tragweite aber gar nicht gerecht. Es geht nicht um Urheberrecht, sondern dass es einfach eine Form von sexualisierter Gewalt ist, wenn intimes Bildmaterial veröffentlicht wird. Es braucht einmal ein umfassendes Gesetz, in das man direkt reingucken kann und sieht, das ist der und der Tatbestand. Und dann kann man damit umgehen. Und es braucht auch – wie in ganz vielen anderen Gewaltformen – einen ganz großen Ausbau von Beratungsstrukturen, von Schutzstrukturen, um Betroffenen Anlaufstellen zu bieten, ohne Wartezeiten und mit einem guten Knowhow, vielleicht auch Kontakten zu IT-Firmen vor Ort, die dann auch nochmal schauen können, wenn es komplexere Fälle sind. Und auch ganz viel Prävention. Und dazu gehört auch, Jungen und jungen Männern zu signalisieren: Gewalt ist nicht okay, ist keine Kommunikationsform. Es gibt keinen Anspruch auf Menschen. Und das gilt im digitalen Raum und im analogen gleichermaßen.
Schlien Gollmitzer: Ich würde jetzt ganz zum Schluss trotzdem noch mal draufkommen: Was ist, wenn ich ein Mann bin und von digitaler Gewalt betroffen bin, wo kann ich mich hinwenden?
Michaela Burkhardt: Auch für Männer, die von Gewalt betroffen sind, von allen Formen von Gewalt, gibt es h ganz viele Anlaufstellen. Ich würde das googeln, am besten so was wie Anlaufstelle Gewalt gegen Männer. Es gibt eine Telefonhotline und dann kann man aber auch über diese Onlinesuche gucken, was ist in meiner Nähe. Das gibt es auch Anlaufstellen. Es gibt auch einen Bundesverband Gewalt gegen Männer. Es kommt tatsächlich zahlenmäßig seltener vor. Es ist ein gesellschaftlich anderer Umgang, aber da gibt es auch Anlaufstellen.
Schlien Gollmitzer: Männergewaltschutz fällt mir gerade noch ein, wäre vielleicht eine Option.
Michaela Burkhardt: Ja, genau.
Schlien Gollmitzer: Michaela, hast du noch etwas, was du gerne hinzufügen möchtest. Fällt dir noch was ein, was dir wichtig ist, zu erwähnen?
Michaela Burkhardt: Ja, ich glaube es ist wichtig, sich als Frau oder FLINTA-Person viel mit Technik zu beschäftigen. Es gibt immer noch so ein Geschlechter-Gap zwischen dem Interesse und der Beschäftigung mit Technik. Und das führt manchmal dazu, dass man einfach annimmt, dass Männer kompetenter sind, wenn es um Technik geht. Und dann richten die das Handy ein und den Router. Und sich da mehr zuzutrauen und sich da reinzufuchsen. Dann ist das alles schon gar nicht mehr so fremd. Oder man hat das Gefühl, man versteht eher Sachen, die gerade passieren und kann sich selbst helfen. Und ist auch nicht so abhängig. Und dass Technik und IT und die Onlinewelt nicht nur schlecht sind. Es ermöglicht super viel, unter anderem auch für Gewalt betroffene Frauen, sich Hilfe zu suchen – anonym und sehr schnell.
Schlien Gollmitzer: Absolutes Empowerment. Ich sehe hinter dir hängt ein Plakat, auf dem steht: We take the power. Das ist der Aufruf, das ist das Ziel. Michaela, ich danke dir für das Interview. Schön, dass du dir die Zeit genommen hast.
Michaela Burkhardt: Vielen Dank fürs Gespräch. Ich fand`s richtig gut.
Hardy Röde: Okay, wow – da sind in meinem Kopf jetzt gerade noch mal ganz neue Szenarien entstanden, wie ätzend Menschen zueinander sein können, wenn sie das möchten. Da denkt man gar nicht dran. Also dass das Radio mitten in der Nacht eingeschaltet wird oder im Winter die Heizung im Smarthome ausgeschaltet werden kann, das ist ja wirklich verrückt.
Schlien Gollmitzer: Es ist krass. Und ich muss ehrlich sagen, ich bin froh, dass bis jetzt noch niemand aus meiner Familie mir böses will. Aber ich finde es bei all der Bedrohung wie du sagst, auch wichtig, einfach informiert zu sein und die Gefahren auf dem Schirm zu haben.
Hardy Röde: Genau, das habe ich auch bei Michaela rausgehört: Es soll überhaupt keine Angst machen vorm digitalen Raum, sondern soll und ermutigen, dass wir uns alle mit den Technologien auseinandersetzen und auch mit den möglichen Nachteilen oder Gefahren, die sie haben.
Schlien Gollmitzer: Und das gerade, ich betone es noch mal auch wir Frauen absolutes Empowerment.
Hardy Röde: Wenn ich es richtig verstanden habe, dann empowert Michaela ja nicht nur Nutzerinnen und Nutzer souverän mit der Technik umzugehen, sondern auch andere Leute, die Betroffenen vielleicht helfen, also in Behörden wie Polizei oder anderen Beratungsstellen, richtig?
Schlien Gollmitzer: Ja, genau richtig. Das habe ich die Michaela auch noch mal gefragt und sie hat`s mir praktischerweise direkt ins Mikro gesprochen.
Michaela Burkhardt: Man kann sich als Beratungsstelle am besten bei frauen-gegen-gewalt.de melden. Das ist die Website vom bbf. Und da gibt es regelmäßige Schulungstermine. Wir machen im Moment Online-Schulungen jetzt gerade zu den Grundlagen, im Sommer zu digitalem Tracking und Kontrolle. Dann gibt`s noch ne Schulung zu bildbasierter Gewalt. Da kann man sich noch anmelden. Und das ist sinnvoll. Und was auch für Betroffene sinnvoll ist, ist die Seite aktiv-gegen-digitale-gewalt.de. Da gibt es eine Website, also eine Startseite mit dem Gewaltphänomen, also zum Beispiel: Der Expartner weiß immer, wo ich bin. Dann kann ich da draufklicken und dann wird mir gezeigt, was das sein könnte und wie das passieren kann, und was man als Betroffene auch tun kann. Und da gibt es auch eine Suchmaschine zur nächsten Beratungsstelle in der Nähe, wo man sich dann hinwenden kann.
Schlien Gollmitzer: Und das war`s dann heute schon mit Update verfügbar. Danke euch für`s Zuhören.
Hardy Röde: Wir hoffen natürlich, dass ihr gerne bis jetzt mit dabei wart bei dieser Folge und irgendwas mitgenommen habt. Falls ja, liked uns doch und folgt uns auf allen Podcast Plattformen, auf denen ihr uns hören könnt. Und da freuen wir uns noch mal mehr, wenn ihr uns ein Sternchen gebt oder vielleicht gleich fünf oder eine Bewertung für uns schreibt.
Schlien Gollmitzer: Weitere Infos zu unseren Themen dieser Folge findet ihr wie versprochen in den Show Notes. Für alle anderen Fragen zum digitalen Alltag und zur Cybersicherheit findet ihr das Team des BSI auch auf Facebook, auf Instagram, auf Mastodon und auf YouTube.
Hardy Röde: Dann bis zum nächsten Update.
Schlien Gollmitzer: Bis zum nächsten Update.