Update verfügbar

Transkript

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„Update verfügbar – ein Podcast des BSI“

Transkription für Folge 39, 02.02.2024:

Moderation: Ute Lange, Michael MünzGast: Silke Müller (Schulleiterin, Digitalbotschafterin und SPIEGEL Bestseller Autorin)Herausgeber: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI)

Ute Lange: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Update verfügbar, dem Podcast für Sicherheit im digitalen Alltag. Mein Name ist Ute Lange.

Michael Münz: Mein Name ist Michael Münz und wir begrüßen euch zur ersten in 2024 aufgenommenen Folge. Die startet eigentlich gleich mit einem verspäteten Feuerwerk, weil wir haben heute eine Spiegel-Bestseller-Autorin am Start, die darüber spricht, wie wir Kinder im digitalen Alltag besser schützen können. Und da gibt es offensichtlich einen Bedarf.

Ute Lange: Und deswegen freuen wir uns ganz besonders, dass heute bei uns ist…

Michael Münz und Ute Lange: Silke Müller.

Michael Münz: Bestsellerautorin von `Wir verlieren unsere Kinder´. Hallo Silke und schön, dass du da bist.

Silke Müller: Hallo, ich freue mich sehr, dass ich dabei sein darf.

Ute Lange: Silke, für alle, die dich und dein Buch noch nicht kennen: Erzähl doch mal, wer du bist und was dich zum Schreiben dieses Buches bewogen hat.

Silke Müller: Das mache ich sehr gerne und danke auch für die Ankündigung meines Buches. Denn genau darum geht's: Kinder im Netz zu schützen. Darüber sprechen wir gleich. Wenn ihr fragt, wer ich bin, dann bin ich in erster Linie Schulleiterin einer niedersächsischen Oberschule. Das heißt, wir liegen mitten im Landkreis Oldenburg. Bisschen ist das bei uns wie Bullerbü. Wir haben 850 Kinder, sind sehr ländlich orientiert, führen die Kinder von Klasse fünf bis zehn und sind aber trotz der ländlichen Idylle sehr digital unterwegs, und das schon seit 2009. Das heißt, die Kinder sind gut ausgestattet mit von den Eltern finanzierten Endgeräten, und es geht bei uns schon lange nicht mehr um die Frage der Technisierung, sondern eher um die Haltungsfrage. Zeitgleich bin ich aber eben auch Digitalbotschafterin in Niedersachsen, weil es mir wichtig ist, gerade im Blick auf Schule, Menschen aus jeglichen Bereichen miteinander in Kontakt zu bringen, in Kommunikation zu bringen und zu gucken, wie können wir voneinander, miteinander profitieren für dieses echt marode System Schule, das leider einer charmanten Ruinen- Verwaltung gleicht. Da brauchen wir viel Expertise von außen. Und gerade die digitale Transformation, auch im Blick auf Datensicherheit, Datenschutz und KI, ist bei uns ein ganz großes Thema. Und in dritter Linie bin ich interessierte Bürgerin unseres Landes, zweifache Stiefmutter und seit 18 Jahren verheiratet.

Michael Münz: Danke dir für die Einordnung. Ich würde sagen, wir fangen mal ganz vorne an, nämlich bei deinem Buchtitel. Der heißt `Wir verlieren unsere Kinder´. Wir haben uns gefragt, an wen verlieren wir die Kinder eigentlich und warum?

Silke Müller: Ich könnte die Frage tatsächlich anders stellen: Wie verlieren wir unsere Kinder? Und das ist für mich ein bisschen multiperspektivisch und zwar in diese Richtung, dass man den Titel natürlich sehr alarmierend finden kann. Aber ich habe schon relativ häufig gehört, wenn man einen Alarm auslöst, heißt das ja am Ende, es kommt die Feuerwehr, es kommt ein Sanitäter oder wer auch immer, um zu helfen. Und genau darum geht es. Wenn ihr fragt, in welche Richtung verlieren wir unsere Kinder, dann meine ich mehr perspektivisch zum einen wirklich ganz klassisch physisch. Wir hatten im letzten Jahr Todesfälle von Kindern im Zusammenhang mit Social-Media-Nutzung. Denken wir an das Mädchen aus Freudenberg, die Luise. Denken wir an die Opfer von Cyber-Grooming, auch da gab es mehrere Prozesse im letzten Jahr. Denken wir an all diese Kinder. Wir hatten einen Todesfall wegen Ecstasy. Da ist jemand in eine Abhängigkeit gerutscht. Oder jemand hatte suizidale Gedanken aufgrund von toxischen Schönheitsidealen und so weiter. Das heißt, dieses echte physische Verlieren ist natürlich auch gemeint. Ich erlebe tagtäglich, dass die Kinder in einer Entwicklungsphase sind, gerade in der Pubertät, wo sie ja nach Halt suchen. Und das Netz gibt teilweise sehr, sehr fragwürdigen Halt, sodass wir erleben, dass Kinder Orientierung verlieren, dass sie wirklich depressiv sind. Man erhält keine Termine mehr bei Kinder- und Jugendpsychologen und alle spiegeln wieder, dass der Zusammenhang mit Social-Media gegeben ist.

Silke Müller: Und das dritte, und das macht mir ehrlicherweise auch große Sorgen, ist, dass wir durch die Manipulation im Netz und durch den im Moment sehr, sehr starken Rechtsdruck in sozialen Netzwerken, auf unterschiedlichste Art und Weise die Kinder als demokratische und friedfertige Menschen unserer Gesellschaft verlieren. Das heißt, am Ende des Tages höre ich ganz oft von Kindern und Jugendlichen, warum sollte ich mich eigentlich noch einsetzen für jemanden? Was bringt mir das? Na ja, wenn ich ein Mandat übernehme, dann werde ich ja sowieso nur niedergemacht im Netz. Wir sehen die schwankende oder sinkende Wahlbeteiligung, wir sehen diese rechtsradikalen, homophoben und wirklich rassistischen Posts. Und wir sehen auch, wie wenig eigentlich noch darauf reagiert wird. Weder von Erwachsenen noch tatsächlich von anderen. Und das ist ein Riesenthema.

Ute Lange: Du hast ja jetzt schon einige Phänomene beschrieben, aber gab es so ein Schlüsselmoment oder einen Anlass, der dich dazu bewogen hat, dir den digitalen Alltag deiner Schülerinnen und Schüler genauer anzuschauen? Und erinnerst du dich noch, was das war?

Silke Müller: Es ist ehrlicherweise ein schleichender Prozess gewesen, weil ich einfach durch verschiedene Momente im Schulalltag gemerkt habe: Moment mal, hier ändert sich gerade was, hier ändert sich das Verhalten. Beispielsweise erinnere ich mich an eine Szene, als eine Schülerin zu mir kam, die von einem gefakten Instagram-Profil sprach. In ihrem Namen wurde ein Profil eröffnet, wo Bilder gepostet wurden, die mit der Realität, mit dem echten Leben und mit dem echten Mädchen nichts zu tun hatten. Und das ging dann Schlag auf Schlag. Diese typischen Rangeleien und Auseinandersetzungen in WhatsApp-Gruppen. Immer wieder dieser Zusammenhang mit Social-Media und Mobbing. Man kann sagen, das gab es schon immer, aber das ist schon eine besondere Kategorie des Cyber-Mobbings. Kinder werden ja nicht nur in der – wir trennen immer noch zwischen analoger und digitaler Welt – in der analogen Welt malträtiert und geärgert. Es ist die doppelte Demütigung, die im Netz stattfindet, weil Bilder gepostet, Chatverläufe oder Chat-Räume mit Hassrede aufgemacht werden, wo man nur über ein Kind spricht. Es ist schwierig zu sagen, ob es einen speziellen Moment gab. Das ist eher das Konglomerat aus vielem, dass ich so 2016, 2017 gemerkt habe: Moment mal, irgendwie ist das nicht der Alltag, den wir noch vor drei, vier Jahren hatten. Ehrlicherweise gab es einen explosiven Anstieg 2018 und 2019, seit Kinder TikTok auf den Smartphones haben.

Michael Münz: War der Einstieg für dich nicht schwer? Ich meine, die Kinder und Jugendlichen waren zu der Zeit ja wahrscheinlich auf mehreren Plattformen unterwegs. Also Instagram hast du erwähnt, TikTok hast du erwähnt, Snapchat gibt es ja auch noch. Wo hast du denn dann angefangen, dich damit zu beschäftigen und wo war dein Einstieg in die Welt der jungen Menschen?

Silke Müller: Sie sind nach wie vor auf so vielen Plattformen unterwegs, dass ich gar nicht hinterher komme. Ich könnte jeden Tag eine neue Liste machen. Ich habe erst heute wieder von zwei browserbasierten Seiten gehört, wo ich dachte, das gibt es hier in Deutschland, das gibt es mitten in Europa? Das kann doch nicht wahr sein! Das heißt, den Einstieg zu finden, das war gar nicht so einfach. Als die Kinder mit den Plattformen gekommen sind, war mir ziemlich klar und übrigens auch selbstverständlich, dass ich immer da sein muss, wo am Ende des Tages die Kinder sind. Das ist die echte Lebenswelt der Kinder. Das bedeutet auch, rein in TikTok, rein in Instagram, rein in Snapchat, um zu gucken, wie funktionieren die Mechanismen? Wie wird da mit Daten umgegangen? Sind da Sicherheitsbarrieren oder nicht? Das heißt, am Ende des Tages war ich ziemlich schnell mit allem gleichzeitig in Berührung.

Ute Lange: Und wie haben die Betroffenen, also deine Schülerinnen und Schüler, denn reagiert? Es ist bestimmt nicht so cool, wenn die Schulleitung dann plötzlich irgendjemand liket oder mitkommentiert. Also wie war da die Begegnung in dem digitalen Raum und der Übergang zurück zum Schulalltag?

Silke Müller: Ich bin ja clever. Sie wissen nicht, dass da Frau Müller surft. Aber selbstverständlich folge ich nicht den Schülern, und selbstverständlich ist es nicht so, dass sie mich im digitalen Raum finden. Das möchte ich nicht, und das möchten sie auch nicht, und das ist mit Sicherheit eine Barriere, die auch notwendig ist. Die Kinder sollen auch in ihrer Welt sein, wenngleich es sicherlich Hilfe und Ansprechbarkeit bräuchte. Aber darauf kommen wir noch. Tatsächlich ist es so, dass es eher für die Kinder wichtig ist, dass sie plötzlich merken, wir nehmen sie ernst, und sagen nicht nur, „mach das Ding aus, du hast jetzt Handy-Verbot oder Tablet-Verbot“. Es geht in erster Linie darum, dass die Kinder merken, wir Erwachsenen respektieren und die Lehrer beschäftigen sich tatsächlich jetzt mit der Welt der sozialen Netzwerke, und es geht nicht nur um Strafen und Sanktionen, sondern um Zuhören, um Streitschlichtung, um empathisches Auffangen. Es ist so wichtig, zu verstehen, dass es für die Schüler kein Problem ist, eher im Gegenteil. Wenn man sie ernst nimmt, finden sie es super. Wegen meines Buches hat meine Stieftochter gesagt, du musst jetzt mal dein Instagram-Kanal pflegen, weil ich ehrlicherweise wenig poste, sondern immer nur beobachte und recherchiere. Da folgen mir mittlerweile auch Schüler, das weiß ich ja, wenn die Klarnamen drin sind, aber das ist dann auch in Ordnung. Sie dürfen ruhig partizipieren und teilhaben. Sie sind Teil meines Lebens und Teil meines Prozesses, und dann ist es auch in Ordnung, dass sie dabei sind.

Michael Münz: Und als du dann drin warst, was waren dann die Themen, mit denen du als erstes konfrontiert wurdest? Und haben die deine Erwartungen erfüllt oder im kritischen Sinne vielleicht sogar übertroffen? Wie war denn das die ersten Tage im Netz?

Silke Müller: Im schlimmsten Sinne übertroffen, ich kann das gar nicht auf ein Thema bündeln. Es ging zeitgleich um Folter, es ging um Gewaltdarstellung, es ging um schlimmste Pornografie, wo ich mir denke, wenn das die Anfangserfahrungen von Kindern zur Sexualität und früher Intimität sind, dann wird mir wirklich ganz anders. Es ging aber auch sehr schnell um Rassismus. Es geht um Homophobie, darum, dass Menschen, die gehandicapt sind, niedergemacht werden. Es ging um diese Mobbing-Darstellung und ganz, ganz viel Tierquälerei, und zwar auf bestialische Art und Weise. Und das reihte sich quasi wie eine Perlenkette aneinander. Irgendwann habe ich angefangen zu überlegen, wie klassifiziere ich das denn? Sind das denn jetzt alles traumatisierende Inhalte? Sind das möglicherweise manipulierende Inhalte. Das dann irgendwie zu systematisieren, fällt unfassbar schwer. Aber es sind so diese Bereiche, über die ich dann eben gerade gesprochen habe, und die wechseln sich munter miteinander ab.

Ute Lange: Ich bin bisschen sprachlos, denn vieles von dem ist mir nicht geläufig. Ich habe keine Kinder im schulpflichtigen Alter mehr in meinem Umfeld, und die, die ich kenne, haben mir von sowas noch nicht berichtet. Höchstens, dass sie da ein bisschen gemobbt wurden oder dass da jemand mal gemein war. Hattest du denn das Gefühl, dass zum Beispiel die Eltern das auch wissen, was den Kindern so passiert oder was sie da täglich sehen? In ihren Streams, also auf Tiktok, wird einem ja auch unglaublich viel eingespielt, was man vielleicht gar nicht gesucht hat.

Silke Müller: Es ist genau der Punkt Ute. Ich mache im Moment viele Lesungen oder Vorträge, und am Ende bleibt immer der Satz: „Das haben wir nicht gewusst.“ Ich zeige nicht die Videos, die bei Reddit, Instagram und Co. laufen, sondern nur Screenshots, und selbst davon sind die Eltern im negativen Sinne beeindruckt und auch beeinflusst und getroffen. Ich glaube, das ist aber ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Da geht es gar nicht nur um die Eltern, da geht es auch um die große Politik, es geht aber auch um Business-Bereiche in der freien Wirtschaft und so weiter. Wenn ich da vortrage und einfach mal den Einblick in die tägliche Lebenswelt der Kinder öffne, dann gucken sie mich sprachlos an und sagen: „Das haben wir nicht gewusst.“ Trotzdem bedienen wir ganz, ganz, zweifellos gerne die Plattitüden wie Gewalt, Pornografie und Folter, wissen aber am Ende nicht, was sich bildlich dahinter verbirgt. Und da kann ich dir ein Beispiel nennen, dass ich erst heute hatte. Ich gehe jetzt mit meiner Schülersprecherin, sie ist in der zehnten Klasse, also 15 Jahre alt, nach Europa, sage ich immer, das heißt, wir dürfen in Brüssel sprechen. Sie sagt dann: “Mensch, Frau Müller, ich würde gerne ein bisschen was erzählen aus meinem Alltag.“ Jetzt muss man wissen, sie kommt aus einem unfassbar stabilen Elternhaus, sie ist ein ganz tolles Mädchen, sie kriegt jetzt ein Halbjahreszeugnis mit neun Einsen, das muss man erst einmal schaffen. Und sie ist sehr, sehr eloquent. Trotzdem ist sie auf den Plattformen unterwegs und sagt: “Da bin ich bei Snapchat unterwegs und da gibt es so einen Story-Bereich, wo man auch Inhalte hereingespielt bekommt, und da habe ich gestern geguckt und es gab nichts Besonderes. Und plötzlich sehe ich dann Bilder aus Gaza, mit einem Menschen, dem das Gesicht zerschossen wurde. Ich konnte gar nicht weggucken, das war so widerlich, aber ich konnte nicht weggucken.“ Gleichzeitig haben wir darüber gesprochen, dass es Mechanismen gibt, die Videos auftauchen lassen, zum Beispiel bei Tiktok, und ich will gar nicht immer auf TikTok herumhacken. Ich erinnere mich beispielsweise an ein Video, das im letzten Sommer weltweit sehr populär wurde, wo Kinder eine Babykatze in einen Mixer, in einen Küchenmixer, getan haben. Und dieses Video ging wirklich viral um die Welt und ich war mir eigentlich sicher, dass es verschwunden ist. Und dann spreche ich mit zwei Schülern, da sagt der eine: „Nee, das finde ich sofort.“ Es dauerte keine zehn Sekunden, bis er das Video bei Tiktok wieder rausgesucht hat. Da habe ich gesagt: „Leute, das kann doch nicht wahr sein, das gibt's doch nicht!“ Das heißt, selbst Filtermechanismen, die greifen müssten bei den Plattformen, sind nicht da. Und dieses Schockieren ist bei Eltern, bei Politikern, bei Lehrern und ich glaube, bei der gesamten Gesellschaft groß, wenn man es dann wirklich mal sieht und sich damit beschäftigt.

Ute Lange: Ich bin immer noch sprachlos. Ich sehe auch Michael nach Luft schnappen. Die Frage ist ja, was können wir oder die Eltern tun, die durch deine Vorträge, durch das Buch oder auch die Gespräche im Schulumfeld ein bisschen schlauer werden und mehr wissen wollen über das, was die Kinder und Jugendlichen den ganzen Tag erleben können und tatsächlich auch erleben. Was können wir denn tun? Und was können auch gerade Familien, also Eltern, tun, wenn sie denn mal das Wissen haben oder gewahr geworden sind, was da alles los ist?

Silke Müller: Da muss ich ein bisschen ausholen, weil, wenn ich jetzt einfach nur den Satz sage: „Verbote helfen nicht,“ guckt mich jeder an und sagt, du erzählst da über die Grausamkeiten dieser Welt und sagst:“ Verbote helfen nicht“. So beginne ich gerne meine Vorträge und sage, nach dem Vortrag kommen sie wahrscheinlich zu dem Entschluss: kein Handy vor 35 Jahren, und es wäre wahrscheinlich gut, wenn man bei einigen Plattformen, und da bin ich von überzeugt, den Stecker ziehen würde. Ich möchte jetzt keinen Namen nennen, aber einige haben für mich einfach keine Relevanz in dieser Welt, sondern bringen einfach nur Unheil und Schaden. Trotzdem sind sie nun mal da, und wir müssen die Kinder begleiten in dieser Welt. Und da hilft es eben nicht nur, auf die Schule zu hoffen und zu sagen, da läuft Prävention, oder es muss einfach mehr Prävention in die Schule. Denn der Punkt ist, dass die Kinder oftmals supergut geschult sind, die wissen, was sie posten dürfen, die wissen, ab welcher Altersfreigabe welche Plattformen zu erreichen ist und trotzdem überschreiten sie natürlich Grenzen, sie sind Kinder. Wir haben auch viele Erwachsene, die Grenzen überschreiten. Die Inhalte werden oftmals nicht von Kindern hochgestellt, sondern von Erwachsenen, die scheinbar auch nichts von Moral und Anstand gehört haben, zumindest was das Netz angeht. Also das hilft uns schon mal nicht allein. Das ist ein Baustein, Prävention zu betreiben, übrigens auch bei Eltern Prävention zu betreiben und zu sagen, guckt da hin und schaut euch an, was da los ist. Wichtig ist aber auch, die Kinder zu begleiten. Und wenn ich sage, Verbote helfen nicht, dann geht es in diese Richtung, dass Eltern sich oft auf technische Einstellung verlassen und sagen: „Na ja, ich habe ja einen Familien-Link, ich habe einen Filter auf der Fritzbox und mein Kind hat nur zwei Stunden Bildschirmzeit. Das ist alles gut und wichtig und richtig. Und natürlich soll man die Kinder auch technisch begleiten, wie eine Art Schutzhelm auf dem Fahrrad. Aber wenn ich mit dem Schutzhelm auf dem Kopf auf eine Autobahn fahre und weiß nicht, wie eine Autobahn funktioniert, dann hilft mir der Schutzhelm auch nichts mehr. Und genau das machen Eltern, wenn sie Kinder einfach ins Netz lassen, ohne dass da ein Bewusstsein dafür ist, auf welche Inhalte die Kinder treffen. Das heißt, zum einen kann es sein, dass ich natürlich mit jüngsten Kindern schon sprechen muss: „Pass mal auf, wenn du bei den Plattformen unterwegs bist, kann dir das und das begegnen und ich möchte, dass du da mit mir sprichst.“ Ich würde aber auch Eltern raten, Kinder niemals ein Smartphone ohne Handyvertrag in die Hand zu geben. Also sprich nicht den Vertrag beim Hersteller oder beim Anbieter, sondern mit mir als Mama oder Papa und da stehen dann Dinge drin, da schaudern Eltern manchmal, weil ich sehr bewusst sage: „Einmal in der Woche wird die Fotogalerie gemeinsam aufgeräumt“. Man guckt rein, ob da möglicherweise Inhalte sind, die sogar strafbar sind, und man kann sich nicht vorstellen, wie diese Fotogalerien aussehen. Es geht nicht darum, dass ich mit hocherhobenem Zeigefinger komme und sage: „Oh Gott, das ist aber eklig“, sondern es geht auch um strafbare Inhalte. Ich gehe sogar so weit zu sagen, dass ein Gruppenchat, nicht deiner kompletten Privatsphäre unterliegt, weil es braucht nur einer einen Screenshot machen und den verteilen. Wir gucken zwischendurch mal rein. Übrigens wundert mich sowieso, dass man davon ausgeht, man kann 25 Kinder aufeinander loslassen und dann funktioniert so eine Gruppe in puncto Disziplin und Kommunikationsregeln. Es funktioniert schon bei uns Erwachsenen nicht. Also auch das geht nicht. Ich versuche, Eltern gerne den Zahn zu ziehen, dass ein Handy, ein Smartphone, Tagebuch-Charakter hat. Das hat es nicht, das ist weltweit öffentlich. Und da sind wir noch nicht mal beim Thema Daten und wie leicht die abzugreifen sind. Aber wenn die Kinder privat sein wollen, dann sollen sie Tagebuch schreiben, einen Brief schreiben oder einfach mal zum Telefonhörer greifen. Das ist auch nicht mehr so sicher, aber für mich immer noch die sicherere Variante, wenn ich mit jemand privat etwas besprechen möchte. Und es gibt so ein paar klassische Regeln, und darüber schreibe ich eben auch, wie ich mein Kind wirklich stark machen kann. Ich bespreche mit meinem Kind, mit wem es sprechen kann, wenn es ein Problem hat und Mama und Papa vielleicht nicht diejenigen sind, mit denen es reden möchte. Wer ist vielleicht die dritte, die vierte, die fünfte Ansprechperson im Vertrauenskreis des Kindes? Das muss man mal benennen. Und die letzte oder die vorletzte Regel: Niemals ein Smartphone im Kinderzimmer zu nachtschlafender Zeit. Da passieren die dunkelsten Dinge. Kinder schlafen zu wenig und wir regen uns dann morgens auf, dass sie müde in der Schule hängen, weil sie nicht genügend Schlaf kriegen. Und dann der wirklich letzte Tipp: kein Computerspiel, kein Game, was online basiert, ist, sollte in die Hände von Kindern geraten, wenn Eltern das nicht mindestens mal eine Woche durchgezockt haben. Eltern sollten wissen, dass Kinder von wildfremden Menschen angesprochen werden können. Oder sie sollten merken, wie unfassbar süchtig das Spiel macht, wenn ich da mal nur eine Stunde zocke und dann selbst das nächste Level erreichen will. Das heißt, ich muss das probieren, was ich den Kindern an die Hand gebe. Und ich muss mich auskennen mit den Dingen, die ich den Kindern an die Hand gebe. Und dabei rede ich nicht davon, dass ich jetzt selbst bei Instagram posten muss, aber ich muss die Mechanismen verstehen. Daran geht für mich kein Weg vorbei.

Michael Münz: Jetzt bist du ja Leiterin an einer Schule. Wie sieht denn all das, was du uns jetzt gerade erzählt hast, dann im Schulalltag aus? Wie kriegst du das hin, das umzusetzen?

Silke Müller: Jetzt wirst du lachen, wenn ich sage, ganz einfach: Wir haben Handyverbot, wir schieben das in den Nachmittag. So ist das aber nicht gemeint. In Niedersachsen ist es gar nicht erlaubt, die Handys komplett zu verbieten. Aber in der Hausordnung haben wir ein Nutzungsverbot der Smartphones und sagen, im Unterrichtsgeschehen und in der Pause ist die Nutzung der Smartphones untersagt. Das hat nicht den Sinn, dass ich glaube, dass wir dadurch weniger Datenströme haben oder dass weniger gefährliche Inhalte auf den Handys landen. Das ist Quatsch! Ich glaube aber, dass Schule der Ort sein sollte, wo wir Anreize geben, wie man Zeit miteinander anders verbringen kann. Das heißt, wo man dann in der Pause miteinander sprechen muss oder schweigen muss. Langeweile auszuhalten ist ja auch manchmal eine Fähigkeit, wo man tatsächlich mal spazieren geht, sich bewegt und so weiter. Das heißt, es gibt noch nicht mal ein Handy-Space. Ich erzähle den Eltern immer, dass gerade die Eltern das Überleben, wenn sie ihren Kindern nicht um elf nach der Klassenarbeit schreiben können: „Wie war es, hast du es überlebt, und wie geht es dir?“ Haben wir früher auch überlebt. Und dass Eltern nicht nach der Mathe-Stunde, die so blöd war, weil der Lehrer so blöd war, sofort beim Direktor anrufen und das kommunizieren müssen. Das hat man auch überlebt und das funktioniert sogar trefflich gut. Immer dann, wenn wir glauben, dass die Smartphones notwendig sind oder dass wir über Social-Media sprechen wollen, dann kommen sie natürlich zum Einsatz und dann können sie auch aus der Tasche geholt werden. Dann lassen wir uns Dinge zeigen. Selbstverständlich machen wir das und das passt insofern ganz gut zusammen, weil wir trotzdem digital arbeiten und versuchen, sowohl IT-Kompetenzen zu vermitteln als auch ein Grundverständnis für künstliche Intelligenz. Aber eben auch diese digitale Ethik.

Michael Münz: IT-Kompetenz ist tatsächlich das Stichwort, auf das ich hinauswollte. Ute und ich haben am Anfang der Folge auch drüber gesprochen: Passwortsicherheit und so weiter und so fort. Sind das so Themen, die dann noch in euren Curricula auftauchen? Oder konzentriert ihr euch jetzt wirklich mehr auf die Ethik, die auch offensichtlich besprochen werden muss?

Silke Müller: Du redest ja über das System Schule und ich weiß gar nicht, ob euch klar ist, was so in den Informatik-Lehrplänen drinsteht oder auch leider nicht und wo wir in der Kompetenzvermittlung wirklich stehen. Also, wir haben ein Curriculum, ein selbst erschaffenes Curriculum für das Fach Digitalkunde. Damit ersetzen wir einen Wahlpflichtkurs und jedes Kind in Klasse sieben und acht hat Digitalkunde. Da ist Datensicherheit, Passwortschutz, Zwei-Faktor-Authentifizierung ein Thema: Wie sichere ich mich bestmöglich ab? Denn ja, wir haben Kinder, die haben Katze eins, zwei, drei als Passwort und zwar überall und erzählen das dann auch noch ihren Mitschülern. Wir haben auch Lehrer, die Katze zwei, drei, vier nehmen, weil sie sich schon ganz clever fühlen. Also, das liegt ja nicht nur an der Nicht-Souveränität der Kinder, sondern ich würde mal behaupten, dass ganz, ganz viele Menschen noch keine Medienmündigkeit und Kompetenz erreicht haben. Und das ist ein Problem. Das ist insofern ein Problem, weil die ganze Gesellschaft darunter leidet. Wir arbeiten mit einer großen Plattform `Unser Niedersachsen´ oder an der Waldschule `IServ´ zusammen, wo wir sehr darauf erpicht sind, dass da nichts passieren kann. Der Sitz der Firma ist in Braunschweig. Natürlich sagen die ständig: Passwörter ändern, starke Passwörter benutzen. Jeder, der auf die Plattform kommt und die Wahl hat zwischen einem computergenerierten Passwort oder einem eigenen, klickt lieber auf `eigenes Passwort anlegen´, denn das kann man sich leichter merken. Und das Passwort im Schlüsselbund anzulegen, kann man auch nicht. Ehrlich gesagt, ist das zu wenig Thema. Man hackt immer sehr gerne auf dem Datenschutzrahmen herum, ich auch, und sagt, der behindert uns an allen Ecken und Kanten. Der ist für mich auch an bestimmten Stellen bisschen veraltet in der Form, wie er jetzt gelebt wird, zumindest in Schulen. Aber es muss ein Thema sein, um tatsächlich auch die digitale Identität zu schützen. Und das tun wir an dieser Stelle viel zu wenig.

Ute Lange: Du hattest ja eingangs schon so ein paar andere Aspekte von Sicherheit angesprochen, die vielleicht nicht unbedingt nur in die IT-Sicherheit hereingehen, aber die natürlich auch eine Gefahr oder Bedrohung für Kinder und Jugendliche bedeuten im Netz. Du hattest von Mobbing und Cybergrooming gesprochen. Michael und ich haben hier schon oft von Phishing und anderen Methoden gesprochen, um eben Daten abzugreifen. Aber gerade bei Mobbing und Cybergrooming gibt es ja auch sehr viele persönliche Angriffe und du hattest einige sehr tragische Fälle eingangs genannt. Wie versetzt man denn deiner Erfahrung nach junge Menschen in die Lage, sich davor zu schützen und habt ihr da in der Schule auch Programme? Also findet das bei Digitalkunde statt oder wo siedelt ihr sowas an?

Silke Müller: Wir sind da eigentlich in dem Bereich der totalen Prävention. Gleichzeitig ist es unglaublich schwierig, weil es auch ein moralisches Thema anspricht, wo wir nicht nur darüber sprechen „Mensch, das sind böse Menschen“. Du weißt, da ist vielleicht Philipp, 15, und da ist möglicherweise Heinz-Günther, 55 Jahre. Das wissen die Kinder theoretisch und die Neugier siegt eben oft. Sie denken, der ist doch total nett und das ist doch alles super und so weiter. Und wenn du fragst, wo das verankert ist, dann hoffe ich, überall, und zwar im normalen Gespräch mit den Klassenlehrkräften, wenn mal wieder ein Vorfall war oder auch im Werte- und Normen-Unterricht, wo es darum geht, was bedeutet eigentlich Schutz und Sicherheit im Netz? Das wird in den Präventionsveranstaltungen, die wir regelmäßig sowohl mit der Polizei als auch mit Medienpädagogen machen, thematisiert. Wir machen Aufklärungs-Webinare, mit einem ganz, ganz tollen Programm: `Law4school´ heißt es. Das macht die Rechtsanwältin, ehemals Gesa Stückmann, jetzt heißt sie Gesa von Schwerin. Wir versuchen, Eltern-Konfrontations-Abende zu machen, damit Eltern lernen, mit ihren Kindern zu sprechen. Und wir haben eine Social-Media-Sprechstunde an der Schule, wo Kinder mit Problemen und Sorgen aus dem Netz kommen können, um vertraulich mit meinem Kollegen zu reden, weil es manchmal einfach Sachen gibt, womit die Kinder nicht nach Hause gehen wollen. Wir hatten ja auch Dinge, mit denen wir nicht als Erstes zu Mama gelaufen sind. Der Punkt ist: Kinder sind leicht zu manipulieren, was eben in ihrem Charakter oder beziehungsweise nicht ausgebildeten Charakter und in der noch nicht fertig ausgebildeten Resilienz liegt. Sie können einfach sehr leicht Opfer werden. Kinder sind von Natur aus unbedarft und das ist eigentlich auch gut und schützenswert, denn darin liegt Neugier verankert, darin liegt Mut verankert und all das, was immer weniger wird. Wir können Kinder so schlecht schützen, weil sie eben immer wieder in die gleichen Fallen tappen und wir das vielleicht gar nicht wissen, obwohl wir ihnen das immer wieder erklärt haben. Ein Punkt, der mich sehr bedrückt und weswegen ich sehr, sehr schnell beim Thema bin, dass es tatsächlich Regulierung braucht. Beispielsweise, dass man sich nicht mehr anonym bei Plattformen anmelden kann. Das ist mir ein Rätseln. Natürlich verstehe ich die Freiheit im Netz, und ich verstehe, dass ich mich erst mal unterm Radar erkundigen kann über bestimmte Themen und so weiter. Wir haben eine Steuer-ID, wir haben einen Führerschein, wir haben ein Punktekonto in Flensburg. Also ich zumindest, weil ich mich auch mal nicht immer an Regeln halte. Ich weiß, ich darf 100 fahren, und denke mir, aufgrund der Zeit, ach, 120 km/h geht immer. Dann sagt mir auch der Staat, „Nee geht nicht Silke, dafür hast du jetzt einen Punkt.“ Diese Regulierung würde ich mir wünschen, weil es eine Absicherung für Kinder ist. Wenn ich darüber spreche, dass Resilienz nicht ausgebildet ist, dass Abwehrkräfte einfach nicht da sind und eine gewisse Charakterstärke noch nicht da ist, würde ich mir auch wünschen, dass im Jugendschutzgesetz stünde „Kein Smartphone mit unbeschränktem Netzzugang vor 14 Jahren“. Und das ist schon völlig illusorisch. Aber wir Erwachsenen haben damit angefangen, die Smartphones so schnell zu verteilen und jetzt müssen wir es auch irgendwie wieder in den Griff kriegen.

Michael Münz: Das waren ja jetzt wirklich viele Punkte, die du besprochen hast und ich frage mich die ganze Zeit: Du als Schulleiterin, du müsstest ja jetzt wirklich auch ein hohes Interesse daran haben, all diese Gedanken, die dich beschäftigen, in den Schulalltag reinzubekommen. Wie sieht das aus? Also habt ihr in euren Stundenplänen Platz, um solche Themen zu behandeln, und wenn ja, wie macht ihr das dann?

Silke Müller: Klares Nein mit drei Ausrufungszeichen!!! Ich kann nicht sagen, dass die Politik sich nicht kümmert. Es gibt überall Diskussionen, ob das jetzt in Brüssel ist, ob das in Berlin ist und so weiter und auch tatsächlich in Netzwerken. Wir verfolgen Diskussionen weltweit, dass in Amerika, jetzt ein Bundesstaat versucht zu verbieten, dass Kinder überhaupt soziale Netzwerke nutzen dürfen. Es ist nicht so, dass sich nicht gekümmert wird. Ich glaube aber, dass dieser Moment fehlt, dass die eigene Betroffenheit hergestellt wird. Das heißt, ich glaube, dass viele Verantwortungsträger nicht wissen, über welche Inhalte wir tatsächlich sprechen und über welche Inhalte sie entscheiden müssen, beziehungsweise über welche Richtlinie, um die Kinder zu schützen. Und das ist für mich relativ tragisch, denn es gibt gute Berater und es gibt nicht nur mich, die darauf hinweisen. Es gibt viele Leute, die einfach sagen „Leute guckt dahin, was da los ist.“ Die Plattform selbst, die Plattformbetreiber erkennen Inhalte, die nicht angemessen sind. Es ist nicht so, dass dort gar nicht gehandelt wird, und gleichzeitig ist, glaube ich, zwar ein Bekenntnis da, `man müsste mal´, aber dieses, `man müsste mal´ setzt wahrscheinlich Regulierungen im Netz auf Prioritätenliste 23. Das ist ein Riesenproblem, weil wir gesellschaftlich unter den Folgen der Auswirkungen von Social-Media-Inhalten leiden und das wird jetzt nicht unbedingt besser, wenn wir nicht mal endlich aufwachen.

Ute Lange: Nehmen wir doch mal eine andere Perspektive ein. Du hast beschrieben, wie es im Moment ist. Wie sähe denn eine digitale Welt aus? Also, wir haben sie ja. Den Sack kriegst du auch nicht mehr zu, das wollen wir auch in den meisten Fällen gar nicht. Aber bestimmte Phänomene wollen wir nicht. Das hast du sehr deutlich gemacht. Wie sähe denn eine digitale Welt aus, in der Kinder und Jugendliche sich sicher und ungefährdet bewegen können? Und bekommen wir sie? Siehst du sie als realistisch an?

Silke Müller: Ganz schwer zu sagen, weil ich glaube, ich würde meine Arbeit nicht machen können, wenn ich nicht einen Hoffnungsschimmer hätte, dass sich was ändern kann. Und wenn ich mal anfange, was es braucht, um sicher zu sein, dann braucht es bestimmte Infrastrukturen, die sichergestellt sind. Das haben wir so im Leben auch. Das heißt, wir haben in Deutschland beispielsweise ein Grundgesetz und wir haben die Legislative, die Judikative, die Exekutive, die dafür sorgen, dass wir miteinander leben können. Ich spreche beispielsweise von der klassischen Polizei, das heißt, die Kinder fordern selber, dass es eigentlich digitale Security geben müsste. Sie sagen dann nicht die digitale Polizei. Sie sagen, wir brauchen `digi-cops´, die unterwegs sind. Die Idee finde ich so naiv wie aber auch genial. Sie sagen: „Ich möchte einen Alarmbutton haben. Wenn ich angegriffen werde oder das Gefühl habe, ich werden von jemandem unter Druck gesetzt, möchte ich einen Knopf drücken und dann möchte ich, dass da jemand zuschaut. Genauso wie jemand ans Telefon geht, wenn ich die 110 wähle.“

Silke Müller: Diese Diskussion hatten wir letzte Woche, das war super. Ich habe gesagt, ihr wisst, wie viel Polizisten man bräuchte und so weiter. Dann sagen die Kinder „Ehrlich gesagt verstehen wir es nicht ganz, denn jetzt sind es ja auch so und so viel Millionen Menschen, die in Deutschland leben. Wir sind bei 84 Millionen und für die ist die Polizei auch da. Wir sind doch nicht plötzlich mehr Menschen, nur weil wir auch noch parallel im Netz sind. Da muss die Polizei eben auch aufpassen.“ Das fand ich sehr pragmatisch dargestellt. Gleichzeitig bräuchte es mit Sicherheit digitale Streetworker, die eben genauso buchbar sind. Es gibt da die ersten Ansätze, die sind auch gut, aber viel zu wenig verbreitet, viel zu wenig bekannt, wo man nicht nur Chat GPT fragen kann, mal schnell per chat, sondern wo man vielleicht tatsächlich menschlichen Kontakt herstellt.

Und ich bin noch nicht so weit, dass ich sage, das kann eine KI ersetzen. Das ist vielleicht irgendwann mal möglich, um Hilfestellung zu geben. Im Moment würde ich sage, Kinder brauchen menschlichen Bezug, menschlichen Kontakt. Das ist das eine, was in meinen Augen sehr, sehr schnell umgesetzt werden muss, um tatsächlich dieses klassische Recht und Ordnung im Netz ein bisschen herzustellen. Und zwar so, dass es besprechbar wird und man nicht darauf angewiesen ist, dass jetzt ein Polizist, der seine Arbeit vor Ort tut, den Fall in Social-Media als wichtig oder nichtig einschätzt. Das ist momentan noch ein Problem. Gleichzeitig, wenn du mich fragst, wie sieht die optimale digitale Welt aus, dann glaube ich schon, dass wir darüber diskutieren müssen, ob einige Plattformen, die wir haben, wirklich Bestand haben dürfen oder nicht. Ober ob sozusagen, wenn solche Inhalte, von denen ich nur ansatzweise geschildert habe, verbreitet werden, diese Plattformen derart stark sanktioniert werden müssen, und zwar auch im finanziellen Bereich, dass denen schlichtweg das Wasser abgedreht wird, wenn sie nicht endlich etwas ändern. Ich frage mich nämlich immer, ob das wirklich so gewollt ist, dass alles rausgefiltert ist, oder ob das ja auch natürlich ein Faktor ist „Da gucke ich gerne irgendwie.“ Also diese Regulierung braucht es auch und für mich wäre eine optimale digitale Welt eben auch, wenn Kinder später ein Smartphone bekommen würden, wenn es aufhört mit dieser totalen Anonymisierung und wenn uns allen quasi von Beginn an – ich bin so weit, dass ich sage, bei den U-Untersuchungen müsste schon über die Folgen von Nutzung von Social-Media gesprochen werden und vermehrte Handynutzung. Ich bin aber auch so weit, dass ich sage, okay, wenn ich keinen Kurs gemacht habe zum Datenschutz, zur Datensicherheit oder was immer, was ich meiner Steuererklärung beilegen muss, dann kriege ich eine Strafzahlung. Das heißt, man muss Menschen ja auch manchmal zwingen zu ihrer Sicherheit an vielen Orten. Und eine Sache vielleicht noch moralisch dazu. Diese Frage, wie wollen wir eigentlich in Zukunft miteinander leben in der optimalen digitalen Welt? Da sagen Zehnt-, Neunt- und Achtklässler: „Mal ein bisschen weniger am Handy wäre cool, mal ein bisschen mehr Zeit mit Mama und Papa wäre cool. Und das sagt die Generation die, laut einer Postbank Studie, mehr als 64 Stunden in der Woche Online ist. Und ich glaube, wir brauchen einen strukturellen Wandel, einen moralischen Wandel und möglicherweise eine gesunde Sanktionskultur, sowohl für uns Einzelbürger als auch den Plattformen gegenüber. Das ist dringend überfällig.

Michael Münz: Danke, Silke! Ich glaube, es gab keine Folge, in der ich nach dem Gespräch mit unserem Experten oder unserer Expertin so sprachlos war wie gerade. Ich habe gedacht, ich habe zwei Kinder halbwegs groß gekriegt und die sind ja schon vor zehn Jahren irgendwie digital geworden. Ich habe denen, als damals gedachter Experte, die nötigen Mittel mit auf den Weg gegeben, damit sie irgendwie klarkommen. Aber ich muss ehrlich sagen, die Katze im Mixer hat mich gerade echt fassungslos gemacht und wenn ich mir vorstelle, dass das eines meiner Kinder vielleicht gesehen haben könnte, bin ich echt platt. Ich hoffe mal, dass das, was du uns jetzt erzählt hast, zumindest bei den Eltern, die heute diese Folge hören, ein paar Automatismen auslöst, dass die vielleicht auch noch mal gucken, was du dir wünschst in diesem Vertrag, was du da festgehalten hast. Da waren, wie ich finde, sehr sinnvolle Sachen drin. Und ja, dass dein Anliegen auch weiter Gehör findet.

Ute Lange: Ich bin auch noch so ein bisschen, nicht sprachlos, aber nachdenklich. Ich hatte auch die Gelegenheit, dein Buch zu lesen in der Vorbereitung für diese Folge und hab das sehr, sehr vielen Leuten weiterempfohlen, weil ich tatsächlich dachte, okay, das geht ja auch an uns. Also, das richtet sich ja gar nicht an die Kinder und Jugendlichen, sondern ich hatte den Eindruck, es richtet sich an diejenigen, die für Kinder und Jugendliche verantwortlich sind. Also sowohl an Eltern, Familien, aber auch im Ausbildungsbereich wie in der Schule, vielleicht in einem Betrieb. Und ich denke, das ist auch wichtig, weil ich persönlich kenne mich mit vielen Plattformen, die du jetzt genannt hast, gar nicht so gut aus. Ich bin auch froh, dass ich viele von den Dingen, die du erwähnt hast, noch gar nicht live gesehen habe. Aber ein Verständnis für diese Plattform zu haben, wie du ja appellierst, glaube ich, ist schon sehr wichtig, wenn man für Kinder verantwortlich ist und deren Sicherheit eben auch in der digitalen Welt sicherstellen will. Und da gibt es ja noch einiges zu tun, wie du auch schön zusammengefasst hast.

Ganz, ganz herzlichen Dank, dass du deine Zeit mit uns geteilt hast. Es war nicht die Folge, die ich am einfachsten verdauen werde. Vielleicht geht es euch da draußen auch so. Wenn es euch so geht, seid ihr denn jetzt sofort in die Zimmer eurer Kinder gerannt oder werdet ihr es als Nächstes tun und fragen: „Was ist da draußen los? Zeig mir mal, was du da hast und hilft mir, das zu verstehen. Lasst uns darüber sprechen, wie wir das gemeinsam sicher gestalten können.“ Wenn ihr solche Reaktionen habt, lasst uns das gerne wissen. Silke ist auch immer interessiert zu hören, was ihre Alarmglocke, die sie hier geklingelt hat, mit ihrem Buch bewirkt.

Michael Münz: Schreibt uns eure Erfahrungen gerne über die BSI-Kanäle auf Facebook, Instagram, X also ehemals Twitter, Mastodon oder YouTube oder ihr könnt uns auch eine Mail schicken, wo ihr eure Erfahrung reinschreibt an Podcast@bsi-bund.de und wir freuen uns auf jeden Fall auf Post und leiten Sachen, die auch sie vielleicht irgendwie betreffen, oder wenn ihr dann noch Nachfragen habt, auch natürlich an sie weiter.

Ute Lange: Wir hören uns dann nächsten Monat wieder. Da sprechen wir über das leidige Thema Passwörter und wie wir das vielleicht hinter uns lassen können.

Michael Münz: Du meinst also, wir sprechen irgendwann nicht mehr über eins, zwei, drei, vier, fünf, sieben, acht?

Ute Lange: Oder Katze eins, zwei, drei und für die ganz Schlauen drei, vier, fünf oder so? Es soll technische Ansätze geben, mit denen wir beide uns dann auch noch beschäftigen bis zur nächsten Folge. Aber die sollen uns helfen, eines der größten Risiken im digitalen Alltag zu minimieren, nämlich den Faktor Mensch.

Michael Münz: Ja, das klingt ja gleichermaßen spannend und kontrovers. Ich würde mal sagen, ich bin dabei.

Ute Lange: Wir sind auf jeden Fall dabei. Vielleicht seid ihr auch wieder dabei. Wir würden uns freuen. Und damit ihr die nächste Folge nicht verpasst, liket und folgt Update verfügbar auf euren Podcast Plattformen.

Michael Münz: Genau! Und wenn ihr noch nicht genug Sicherheit in der Zwischenzeit habt, am sechsten Februar ist der Safer Internet Day, der anders sein wird. Passend zu dieser Folge wird das BSI eine Checkliste zum Cybermobbing veröffentlichen, den kompakten Wegweiser für den digitalen Familienalltag und auch eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, um ein Jugendschutz-PIN einzurichten. Also bleibt auf jeden Fall am Thema dran und merkt euch den sechsten Februar. Die Infos dazu findet ihr dann hier in den Shownotes.

Ute Lange: Bis dahin, passt gut auf euch und auch auf Kinder und Jugendliche in eurem Umfeld auf. Und wir freuen uns, wenn wir uns Wiederhören. Bis dann, tschüss!

Michael Münz: Tschüss!